Campbells Wasserstoffstern

Der Stern eines Dienstmädchens

Helligkeit: 10,4mag
Sichtbarkeit: Grenzwertig im 10x50-Fernglas
Sternbild: Schwan
Rek.: 19 34 45.23, Dek.: +30 30 58.94
Bezeichnungen: HD 184738, BD+30 3639, Campbell's Hydrogen Star

Die aus Schottland stammende Williamina Fleming (1857 - 1911) fand 1880 bei dem Astronomen Edward Pickering (1846 - 1919), Direktor des Harvard College Observatory, eine Anstellung als Dienstmädchen. Durch die Unzufriedenheit über seine Assistenten am Observatorium erklärte Pickering, dass die Arbeit sein Dienstmädchen besser machen könne und so wurde die 24-jährige Hausfrau für Bürotätigkeiten und mathematische Berechnungen am Observatorium eingestellt. In 9 Jahren katalogisierte sie mehr als 10.000 Sterne, zudem erdachte sie eine neue Klassifikation von Sternen nach der Häufigkeit von Wasserstoff und entdeckte zahlreiche Gasnebel (darunter eine Einbuchtung in IC 434, heute als Horsehead Nebula bekannt), Veränderliche und Novae.

Ungewöhnliches Spektrum

Bereits 1890, drei Jahre bevor William Campbell seine Aufzeichnungen über die H-alpha-Emission bei dem Stern BD+30 3639 in "Astronomy and Astrophysics" veröffentlichte, fiel Williamina Fleming auf drei mit einem Objektivprisma aufgenommene Fotoplatten das seltsame Spektrum des Sterns auf. Die Fotoplatten wurden Mitte und Ende Juni 1890 belichtet, die Abhandlung wurde nur wenige Tage später am 01. Juli bei "Astronomische Nachrichten" eingereicht. In der schreibt sie außerdem, dass das Emissionsspektrum am 25. Juni auch visuell beobachtet wurde, durch ein Spektroskop am 15"-Refraktor des Harvard-Observatoriums. So gesehen ist also Pickerings Dienstmädchen der eigentliche Entdecker von Campbells Wasserstoffstern.

Komischerweise gehört der Stern heute, fast 120 Jahre nach der ersten Veröffentlichung, zu den mehr als 50 bekannten PNe-Zentralsternen des Wolf-Rayet-Spektraltyps, deren Haupteigenschaft das Fehlen von Wasserstoff ist. Wie passt das zusammen? Denn entdeckt wurde er durch die Strahlung von ionisiertem Wasserstoff.

Heißer Stern ...

Die Linienemission stammt nicht vom Stern, sondern von einer zirkumstellaren Wasserstoffhülle, die er in einem heftigen Sternwind während der AGB-Phase abgestoßen hat: Flemings seltsame Sonne ist der Zentralstern eines sehr jungen Planetarischen Nebels. Das anregende Objekt ist jedoch kein Weißer Zwerg, sondern gehört wie bereits beschrieben zu den seltenen PNe-Zentralsternen mit einem Wolf-Rayet-Spektrum. Nach Modellen von 2005 besitzt der Stern noch 0,6 Sonnenmassen und den 0,85-fachen Sonnendurchmesser, seine Oberfläche ist 55.000 Kelvin heiß. Entwickelt hat sich dieser Überrest aus einem Stern mit der 2 bis 3-fachen Sonnenmasse.

... und junger Nebel

Im von Luboš Perek und Luboš Kohoutek 1967 erschienenen Katalog Planetarischer Nebel trägt der etwa 6 Bogensekunden große Nebel um HD 184738 die Bezeichnung PK 64+5.1. Für Fernrohrbeobachter ist er allerdings kein leichtes Objekt, da ihn der Zentralstern überstrahlt.

1994 kam die umfassende Arbeit "BD+30 3639: The Infrared Spectrum During Post-AGB Stellar Evolution" von Siebenmorgen, Zijlstra und Krügel heraus. In dieser versuchen sie den Verlauf der letzten Entwicklungsstufen des heißen Überrests nachzurechnen. Nach dem Modell muss der ursprüngliche Stern mehr als 3 Sonnenmassen gehabt haben, der nach ihrer Annahme bis zum Erreichen von 5.000 Kelvin (Spektraltyp G8) 2,5 Sonnenmassen abstieß. Desweiteren soll die Kernmasse heute bei rund 0,7 Sonnenmassen liegen und 30.000 Kelvin heiß sein.

Mit diesen Annahmen wurde ein Mindestalter des Planetarischen Nebels von 600 Jahren berechnet. In nur 900 Jahren durchlief der stellare Überrest das Übergangsstadium eines Post-AGB-Sterns bzw. Protoplanetarischen Nebels und entwickelte sich dabei von einem Roten Riesen auf dem asymptotischen Riesenast (AGB) zu einem heißen, seltenen Zentralstern. Auch im Preprint "The Angular Expansion and Distance of the Planetary Nebula BD+30 3639" von Li, Harrington und Borkowski aus dem Jahr 2002 wird ein ähnliches Alter angenommen: zwischen 600 und 800 Jahre.

Doch wie kommt es zu dieser kurzen Phase des Protoplanetarischen Nebels, wo doch allgemein immer von einer Größenordnung von 10.000 Jahren ausgegangen wird? In dieser aktuellen Studie (Oktober 2006) wurde die Röntgenemission von Planetarischen Nebeln untersucht. Sie sagt aus, dass ein Post-AGB-Stern diese Übergangsphase sehr schnell durchläuft, wenn der Nebel starke Röntgenstrahlung abgibt, die ihre Ursache in dem sehr hohen Massenverlust des ursprünglichen Riesensterns hat. PK 64+5.1 ist mit 3 Millionen Kelvin ein sehr starker Röntgenemitter, der von Arnaud et al. 1996 mit dem japanischen Röntgensatelliten ASCA erstmals detektiert wurde.

September 2007

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